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Foto: Eva Brunner-Szabo
Totenhemd Aktion 3
Foto: Eva Brunner-Szabo
Foto: Eva Brunner-Szabo

Totenhemd Aktion 3

Künstler/in (1961 Oberwart, Burgenland - 2012 Wien)
Date2007
ClassificationsDruck
MediumC-Print
Paper Support6-teilig
Dimensions40 x 30 cm; Rahmen: 41 x 31 cm
Credit LineArtothek des Bundes
Object number27438
DescriptionEinführung zur Ausstellung
Eva Brunner-Szabo: Totenhemd
anlässlich der Eröffnung am 1. Februar 2008 in der Galerie des Kunstvereins Baden

Das Werk, von dem die Rede ist und das Eva Brunner-Szabo mit "Totenhemd" betitelt hat, lässt sich aus mehreren Perspektiven betrachten. Diese ergeben sich aus seiner Geschichte und den Mitteln, die zu seiner Realisierung eingesetzt worden sind. In aller Kürze und vorweggenommen: Der Anlass war ein so trauriger wie alltäglicher, der Einsatz der medialen Komponenten so überlegt wie subtil, die Bedeutungen, die sich in der Wahrnehmung erschließen, sind so vielfältig wie komplex. Auf einige Aspekte will ich näher eingehen.
Der Reihe nach: Im Vorjahr ist die Großmutter der Künstlerin gestorben, ein Mensch, mit dem sie ein inniges Verhältnis verbunden hat. Die Arbeit entstand bald darauf und war im Frühjahr 2007 weit gehend abgeschlossen.
Zu Darstellung gelangt ist - neben Mobiliar in der Wohnung der Verstorbenen -: der Körper der Künstlerin, angetan mit Wäsche, die ehemals zur Aussteuer der Großmutter gehört hat und bereits vor einiger Zeit der Enkelin geschenkt worden ist. Mit der Kleidung wird eine Verbindung hergestellt zwischen dem Dasein der Großmutter und der Gegenwart des Modells, das sie trägt - also zwischen beiden als Lebende. Diese Metamorphose erfolgt noch auf einer anderen Ebene. Brunner-Szabo posiert in der Wohnung der Großmutter, sitzt auf der Küchenbank, im Rollstuhl und tritt damit - bildlich - in deren Identität. Gestorben wird in den eigenen vier Wänden, wo die anderen Aufnahmen entstehen: auf dem Boden liegend, erstarrt zur Pose einer toten Frau. Im medialen Tod der Künstlerin ist der reale Tod der Großmutter aufgehoben - aufgehoben in beiden Bedeutungen des Wortes, also: er ist dort enthalten und: er wird außer Kraft gesetzt. Die Unbeweglichkeit des Körpers entspricht dabei nicht nur dem Anschein des Todes sondern deutet auch auf den Schmerz, der die Hinterbliebenen bei der Nachricht über einen Verlust manchmal erstarren lässt.
Kein anderes Medium kann so sehr des Todes habhaft werden wie die Fotografie. Denn ihre Bilder vermögen nichts anderes zu zeigen als Augenblicke, die bereits vergangen sind. Mit jeder Aufnahme wird eine Erscheinung als gewesene identifiziert. Der Kosmos der Fotografie ist ein riesiges Grab vergangener Gegebenheiten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass jeder fotografische Akt tödlich wirkt. Denn er lässt alle Bewegung einhalten und bringt sie zum Stillstand, ein Status, den das Bewegte - sei es im Raum oder in der Zeit -, also das Leben nicht kennt. Denn jeder organische Stillstand bedeutet den Tod. Insofern ist jede fotografische Darstellung gegenüber der Wirklichkeit ebenso unangemessen wie der Tod gegenüber dem Leben. Beide sind nicht Teil des anderen, sondern bilden neue Zustände, die mit den vorigen nur über die Ähnlichkeit der Fassade verbunden sind.
Deshalb ist die Fotografie seit ihren Anfängen bevorzugt zu Simulationen des Todes eingesetzt worden. Einer der Pioniere, der Pariser Hippolyte Bayard, hat sich 1840 als Ertrunkener abgelichtet, der wegen einer großen Enttäuschung aus dem Leben geschieden ist, was ein dem Bild beigegebener Text kund tut. Oder anders: Er hat seine Enttäuschung verarbeitet, indem er sich tot gestellt hat, er hat sie - wenn man so will - im Bild begraben. Und Brunner-Szabo hat ähnlich agiert, indem sie die Haltung einer Verstorbenen einnimmt, wobei das fiktive Totenhemd mit seiner Herkunft den - wenn auch verborgenen - Kommentar abgibt. Die Künstlerin hat aber noch ein weiteres Potential der Fotografie genutzt: die Unschärfe im Bild, die bei langer oder mehrfacher Belichtung entsteht. Auf diese Art können Dinge zum Verschwinden gebracht werden, wie z. B. das Gesicht in den Selbstdarstellungen in der Wohnung der Großmutter. Manch einer mag in der Erscheinung die Großmutter vor sich zu wähnen, doch nicht deren Anwesenheit soll suggeriert werden, sondern das langsame Verschwinden aus dem Gedächtnis derer, die sie kannten, ja, wohl auch die Angst der Betroffenen vor diesem zunehmenden Vergessen. Erinnerungen haben es an sich, dass sie nach und nach verschwommen werden.
Diese zunehmende Abwesenheit - wenn man es so nennen darf - wird zudem er-reicht, wenn auf manchen Darstellungen als Tote eine gezeichnete Kontur über dem Modell hervortritt. Auch dieser Effekt ist Folge einer lang andauernden Belichtung, bei der sich die Künstlerin aus dem Bild bewegt hat und nur mehr als Schemen am Rand erkennbar ist. Dadurch hat sich die Linie auf der weißen Unterlage in die Fotografie eingeschrieben. Das Unikat der Zeichnung fungiert als Signum, das die Einmaligkeit des individuellen Gedenkens anspricht, und zugleich beschwört, dass die Großmutter niemals dem Vergessen anheim fallen wird.
Abschließend: "Totenhemd" ist - neben allen persönlichen Konnotationen - eine Elegie auf das Verschwinden, auf etwas, mit dem wir täglich konfrontiert sind, wenn wir merken, dass die Zeit weiter läuft, dass Geschehnisse und Dinge aus dem Blickfeld geraten, wenn jeder gewendete Blick das Alte hinter sich lässt. Das Verschwinden kann ebenso nicht wahrgenommen werden, wie die unmittelbare Gegenwart nicht zu erleben ist: Denkt man an einen bestimmten Moment, so erreicht ihn der Gedanke erst, wenn er im Zuge des Denkens bereits vergangen ist. Auch der Blick erreicht das Verschwundene niemals - deshalb, möchte ich meinen, sind in den Aufnahmen niemals die Augen zu sehen. Der Blick, der uns verweigert wird, ist ein nach innen gerichteter, er trifft auf die Bilder der Erinnerung, die einzig solche der Künstlerin sind.
Genug der Analyse und zugleich ihre Begründung: Sie ist notwendig, weil die Arbeit von Eva Brunner-Szabo mehr bedeutet als der Ausdruck eines Gefühls und die Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen. Dieser Entwurf reflektiert auch ein Denken über Augenblick und Erinnerung, über Fort und Da, über die medialen und künstlerischen Fähigkeiten der Fotografie. Einmal davon abgesehen, dass dabei ein bemerkenswerte Inszenierung mit eindringlichen und schönen Bildern entstanden ist.

© Timm Starl 2008
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Foto: Eva Brunner-Szabo
Eva Brunner-Szabo
1991-2001
Foto: Eva Brunner-Szabo
Eva Brunner-Szabo
2007
Foto: Eva Brunner-Szabo, Gert Tschögl
Eva Brunner-Szabo
2006
© Bildrecht, Wien, 2022; Foto: Eva Brunner-Szabo; © Bildrecht, Wien, 2022
Eva Brunner-Szabo
2007
© Bildrecht, Wien, 2013; Foto: Artothek des Bundes
Maria Brunner
1986
© Bildrecht, Wien, 2020; Foto: Norbert Brunner © Bildrecht, Wien, 2020
Norbert Brunner
2003
Foto: Maria Brunner; © VBK, Wien, 2006
Maria Brunner
2006
© 2004 Dr. Szabolcs Piskolti; Foto: Artothek des Bundes
Éva Nagy
erworben 1966